Unternehmensinteresse vs. Shareholder Value als Leitmaxime kapitalmarktorientierter Aktiengesellschaften

Wessen Interessen soll das Wirtschaften einer Aktiengesellschaft letztlich dienstbar sein? Seitdem im Zuge der zweiten industriellen Revolution in Deutschland Großunternehmen von nationaler Bedeutung entstanden sind, wird die Frage nach der Leitmaxime des Aktienrechts nicht mehr selbstverständlich mit dem Verweis auf die Interessen der Anteilseigner beantwortet. Insbesondere für das Handeln der Führungs- und Aufsichtsorgane hat die Leitmaxime weitreichende Implikationen. Sie ist nicht nur Grundlage für die Auslegung geltenden Rechts, sondern prägt gleichermaßen dessen Fortentwicklung. Ihre mögliche Ausstrahlung sei anhand einiger Fragenkomplexe angedeutet: In welchem Umfang darf oder muss die Unternehmensführung die Interessen anderer Anspruchsgruppen als der Anteilseigner bei alltäglichen, operativen Geschäftsentscheidungen berücksichtigen? In welchem Umfang darf oder muss die Unternehmensleitung die Interessen anderer Anspruchsgruppen bei grundlegenden strukturellen Entscheidungen berücksichtigen, etwa bei Verhandlungen über eine Übernahme der Gesellschaft durch ein anderes Unternehmen oder über eine Fusion mit einem anderen Unternehmen? In welchem Umfang ist die Unternehmensleitung befugt, Vermögenswerte und Aktivitäten der Gesellschaft parteipolitischen, sozialkaritativen oder anderen philanthropischen Zwecken zu widmen? In welchem Umfang ist die Unternehmensleitung befugt, den Aktionären Auskünfte über vorhandene Vermögenswerte zu verweigern, um eine „substanzgefährdende“ Ausschüttung zu verhindern? (...) [Christoph Kuhner]<p>Dieser Text basiert auf einem Vortrag, gehalten im Rahmen des Forschungsseminars des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln am 21. Juli 2003.