Kreislaufwirtschaft und Wachstum : eine kritische Perspektive auf Post-Wachstums- und Pro-Wachstums-Ansätze zur circular economy
Felix Carl Schultz und Ingo Pies
In jüngster Zeit wird kritisch debattiert, ob bzw. inwiefern eine Kreislaufwirtschaft mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist. Hier stehen sich zwei Positionen diametral gegenüber. Auf der einen Seite gibt es Plädoyers für eine Kreislaufwirtschaft, die ganz gezielt auf Wachstum setzen soll (Pro-Growth): Im Gegensatz dazu gibt es auf der anderen Seite Plädoyers, die Kreislaufwirtschaft möge auf Post-Wachstum setzen, also auf Wachstumsverzicht (Degrowth): Vor diesem Hintergrund verfolgt der vorliegende Aufsatz das Ziel, eine Argumentationslinie zu entwickeln, die dazu beiträgt, die beiden antagonistischen Positionen miteinander zu versöhnen. Zu diesem Zweck wird die aus der Moralphilosophie bekannte Methode des ‚praktischen Syllogismus‘ zur Anwendung gebracht. Sie führt vor Augen, wie normative und positive Argumente strukturiert werden können, um die Formulierung von gut begründeten moralischen Schlussfolgerungen zu ermöglichen. Mit Hilfe dieses interdisziplinären Impulses zielt dieser Aufsatz darauf ab, logische Fehler in der aktuellen Argumentation aufzudecken und diskursive Lernprozesse zu fördern. Auf diese Weise werden vier Einsichten formuliert, die auf gesellschaftlicher Ebene für eine gelingende Transformation zur Kreislaufwirtschaft von grundlegender Bedeutung sind. Sie betreffen einen Pfad intensiven Wachstums, die Internalisierung externer Effekte durch Schaffung neuer (bislang fehlender) Märkte, eine institutionelle Unterstützung zur Aussendung positiver externer Effekte und eine gesellschaftliche Diffusion von Innovationsrenten, die das unternehmerische Gewinnmotiv für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen in Dienst nimmt. Zwei weitere Einsichten betreffen die Unternehmensebene: Hier verweist der vorliegende Aufsatz auf die Notwendigkeit, besondere Managementkompetenzen zu entwickeln, nämlich zum einen die Governance-Kompetenz zur argumentativen Aufklärung über gemeinsame Interessen an institutionellen Arrangements sowie zum anderen die Governance-Kompetenz zur (Re-)Konfiguration institutioneller Strukturen und ihrer Anreizwirkungen. Mit diesen insgesamt sechs Einsichten verbindet sich die Anregung, neue Denkansätze in Wissenschaft und Praxis zu etablieren.