Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik : Wirkungen auf die deutsche Leistungsbilanz
Jens Boysen-Hogrefe, Klaus-Jürgen Gern, Dominik Groll, Philipp Hauber, Nils Jannsen und Stefan Kooths
Der deutsche Leistungsbilanzsaldo erreicht in Relation zur Wirtschaftsleistung seit einigen Jahren so-wohl im historischen als auch im internationalen Vergleich Höchststände. Diese anhaltend hohen Leis-tungsbilanzüberschüsse werden auf internationaler Ebene zunehmend kritisch diskutiert. Dahinter steht die Auffassung, die Überschüsse der Leistungsbilanz könnten die wirtschaftliche Entwicklung im In- und Ausland negativ beeinflussen. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Kurzgutachten die Wir-kung von acht hypothetischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf den deutschen Leistungsbilanz-saldo untersucht. Diese Maßnahmen umfassen schuldenfinanzierte finanzpolitische Maßnahmen, Handelsabkommen, Maßnahmen, die auf höhere Löhne hinwirken sowie eine restriktivere Geldpolitik. Freilich sind wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf eine Reduktion eines Leistungsbilanzüber-schusses hinwirken, nicht ohne weiteres als Ausdruck einer angemessenen Wirtschaftspolitik aufzu-fassen, auch weil sie mit Verzerrungen an anderer Stelle einhergehen können. Aufgrund der hohen Aktualität und der internationalen Dimension der Debatte um den deutschen Leistungsbilanzüber-schuss ist die Wirkung dieser Maßnahmen auf die Leistungsbilanz gleichwohl von wirtschaftspoliti-schem Interesse. Die Analyse erfolgt in einem einheitlichen Modellrahmen anhand des internationalen makroökonomi-schen Strukturmodells NiGEM. Die Maßnahmen können zum Teil nur indirekt in NiGEM implementiert werden; hierfür orientieren wir uns, soweit möglich, an bereits erprobten Vorgehensweisen. Da die Wirkung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die Leistungsbilanz komplex ist und nicht alle Wirkungskanäle von einem einzigen Modell abgebildet werden können, werden die Ergebnisse Resul-taten aus der Literatur gegenübergestellt, die auch auf anderen Modellen und Methoden basieren. Bei der Analyse wird ein Fokus auf die Effekte bis zum Jahr 2021 gelegt, es werden aber auch die länger-fristigen Auswirkungen diskutiert. Alles in allem haben den Modellergebnissen zufolge schuldenfinanzierte, expansive finanzpolitische Maßnahmen die größte Wirkung auf den deutschen Leistungsbilanzsaldo (Tabelle 1). Diese Maßnah-men wirken wie ein konjunktureller Stimulus und reduzieren vor allem über einen Anstieg der Importe den Handelsbilanzsaldo und damit zusammenhängend auch den Leistungsbilanzsaldo. Die größten Wirkungen ergeben sich bei einer schuldenfinanzierten Senkung der Unternehmensteuern oder einem schuldenfinanzierten Anstieg der öffentlichen Investitionen, da diese Maßnahmen auch die Binnen-konjunktur am stärksten anregen würden und per Saldo die für den Kapitalexport verfügbaren Mittel schmälern. Etwas geringere Wirkungen ergeben sich bei einem schuldenfinanzierten Anstieg der öf-fentlichen Konsumausgaben oder dem Senken der Einkommensteuer. Insgesamt sind die Wirkungen auf den Leistungsbilanzsaldo aber begrenzt. Eine einzelne Maßnahme könnte aufgrund von politischen oder technischen Hemmnissen wohl kaum in einem Umfang durchgeführt werden, der den Leistungs-bilanzsaldo erheblich (z.B. um 2 Prozentpunkte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) reduzieren würde. Erfolgen die Maßnahmen budgetneutral, so ist die Wirkung auf den Leistungsbilanzsaldo deutlich ge-ringer. Freilich führen einige dieser Maßnahmen (insbesondere höhere öffentliche Investitionen und niedrigere Unternehmensteuern), auch wenn sie gegenfinanziert werden, dauerhaft zu einem niedri-geren Leistungsbilanzsaldo, da diese strukturell die Spar- und Investitionsentscheidungen beeinflus-sen. Zwar sind die Wirkungen nicht aller Maßnahmen quantitativ miteinander vergleichbar, da sie sich in ihrem Impuls unterscheiden. Die Wirkungen der nicht finanzpolitischen Maßnahmen auf den deut-schen Leistungsbilanzsaldo sind aber offenbar begrenzt oder in ihrer Wirkungsrichtung unklar. Ein Handelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union oder eine Liberali-sierung des Dienstleistungshandels könnte den deutschen Leistungsbilanzsaldo geringfügig reduzieren. Bei Maßnahmen, die zu einem stärkeren Anstieg der Löhne in Deutschland führen, oder bei struk-turellen Reformen in europäischen Partnerländern ist die Wirkung auf den Leistungsbilanzsaldo unklar. Die Ergebnisse stehen qualitativ im Einklang mit den Ergebnissen in der Literatur. Eine Kombination aus einer Liberalisierung des Dienstleistungshandels sowie einer schuldenfinanzierten Erhöhung der öffentlichen Investitionen und einer Senkung der Unternehmenssteuern im Umfang von jeweils 0,5 Prozentpunkten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt könnte den deutschen Leistungsbilanzsaldo bis zum Jahr 2021 um etwa 1 Prozentpunkt reduzieren.
Year of publication: |
[2017]
|
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Authors: | Boysen-Hogrefe, Jens ; Gern, Klaus-Jürgen ; Groll, Dominik ; Hauber, Philipp ; Jannsen, Nils ; Kooths, Stefan |
Publisher: |
Kiel : Institut für Weltwirtschaft |
Saved in:
freely available
Extent: | 1 Online-Ressource (circa 43 Seiten) Illustrationen |
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Series: | Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik. - Kiel : IfW, ISSN 2567-6474, ZDB-ID 2433297-5. - Vol. Nr. 11 (November 2017) |
Type of publication: | Book / Working Paper |
Type of publication (narrower categories): | Graue Literatur ; Non-commercial literature ; Arbeitspapier ; Working Paper |
Language: | German |
Notes: | Zusammenfassung in englischer Sprache |
Other identifiers: | hdl:10419/172260 [Handle] |
Source: | ECONIS - Online Catalogue of the ZBW |
Persistent link: https://www.econbiz.de/10011756400
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