Das Ziel dieser Doktorarbeit ist die Untersuchung der Nettoernährung der Europäer vom 8. Jh. v.Chr. bis zum 18. Jh. n.Chr., und somit der Versuch erstmals das Desiderat anzugehen, eine Langzeitstudie zum (biologischen) Lebensstandard der Europäer in der Vor- und Frühgeschichte zu erbringen.Die Doktorarbeit basiert auf dem anthropometrischen Ansatz, die Durchschnittskörpergröße als Indikator für die Nettoernährung einer Population zu verwenden.Im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte war es vielen Wirtschaftshistorikern möglich auf schriftlichen Quellen basierend die Entwicklung der Nettoernährung (biologischer Lebensstandard) rezenter Jahrhunderte zu bestimmen. Wie jedoch kann die Fragestellung hinsichtlich der Nettoernährung für archäologische Perioden angegangen werden, für die keine ausreichende Anzahl verlässlicher quantifizierbarer Schriftquellen vorliegt? Hier ist eine interdisziplinäre Studie erforderlich: Ökonometrische Methoden der angewandten Wirtschaftsgeschichte werden zur Auswertung von Daten genutzt, die aus Ausgrabungen und archäologischen Arbeiten stammen. Die Körpergrößendaten basieren auf Skelettmaterial aus Gräberfeldern (notwendige Algorithmen wurden entwickelt); die Daten zu den Determinanten, und zu Datierungszwecken stammen aus anderen archäologischen Arbeiten.Im Gegensatz zu zahlreichen schriftlichen Körpergrößenquellen aus rezenten Jahrhunderten, birgt das Knochenmaterial den Vorteil, hier nicht nur Information zu männlichen, sondern auch zu weiblichen Individuen in repräsentativer Anzahl gewinnen zu können. Dies ermöglicht die Untersuchung gesellschaftsbedingter geschlechtsspezifischer Ungleichheit.Die Hauptfragestellungen der vorliegenden Studie sind: Wie entwickelte sich die Nettoernährung insgesamt? In welchen Perioden waren die Bedingungen vergleichsweise gut?Wie entwickelten sich die Bedingungen in den verschiedenen europäischen Regionen während der Vor- und Frühgeschichte? Und welches sind die Determinanten, die Unterschiede verursachen? Diese Doktorarbeit ermöglicht somit die Überprüfung älterer Hypothesen, wie beispielsweise die Annahme eines positiven Einflusses des römischen Imperialismus und der Okkupation durch die Römer.Die Ergebnisse der Doktorarbeit werden in verschiedenen Unterkapiteln mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten präsentiert. Zu den bemerkenswerten Ergebnissen zählt, daß im Laufe der 2500 Jahre zwischen dem 8. Jh. v. Chr. bis zum 17. Jh. n. Chr. keine entscheidenden Veränderung in der Nettoernährung erfolgte. Dieser Befund deckt sich mit dem Grundgedanken, vor der Industriellen Revolution sei ein klarer säkularer Trend ausgeblieben. Dennoch durchlebten die Europäer zwischenzeitlich Perioden besserer und schlechterer Verhältnisse. Zum Beispiel brachte die Phase der römischen Okkupation einen negativen Einfluß für die betroffenen Gebiete mit sich. Hinsichtlich weiterer möglicher Determinanten konnte festgestellt werden, daß in der Langzeitentwicklung gesehen Temperaturänderungen keinen statistisch signifikanten Einfluß auf die Durchschnittskörpergröße hatten.Im Laufe der Jahrhunderte hatte ein höherer Rinderanteil (als Indikator für die Nähe zu Produktion und somit Konsum von hochwertigem Protein) einen positiven Einfluß auf die Durchschnittskörpergröße. Der Rinderanteil und somit der Milchkonsum waren in der mediterranen Region vergleichsweise gering; dennoch gibt es im regionalen Vergleich keine signifikanten Durchschnittskörpergrößenunterschiede, wenn man für den Rinderanteil kontrolliert. Eine höhere Urbanitätsrate (als Indikator für dichte, unzureichende und ungesunde Lebensbedingungen) ist eine der Hauptdeterminanten mit negativem Einfluß auf die Nettoernährung. Höhere Bevölkerungsdichte hat keinen signifikant negativen Einfluß auf die Durchschnittskörpergröße; dies gilt insbesondere, wenn die vorchristlichen Jahrhunderte, die sich durch sehr geringe Bevölkerungszahlen auszeichnen, mit in die Untersuchung einbezogen werden. Hinsichtlich möglicher gesellschaftsbedingt-geschlechtsbezogener Unterschiede konnte festgestellt werden, daß die Durchschnittskörpergröße von Frauen und Männern über die Jahrhunderte parallel verlief. In den 2500 Jahren, die den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Doktorarbeit umfassen, kam es zu keiner bedeutenden Veränderung der Stellung der europäischen Frau. Im regionalen Vergleich war die Frau im mediterranen Europa vergleichsweise gut gestellt. Allerdings war der römische Einfluß in der zeitlichen Entwicklung für den Status der Frau negativ.